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FH-Ludwigshafen - Spektrum Oktober 2010

36 Studium rüche, der unübersichtliche Verkehr und natürlich die allgegenwärtigen Schriftzeichen. Was das Chi- nesisch anbelangte, das wir in den vier Semestern unseres Grundstudiums gelernt hatten, so bestand es aus etwa 1.500 Schriftzeichen, etlicher Gramma- tik und vielen eingeübten Standarddialogen. Aber wie diese Gesellschaft jetzt ganz konkret auf mich einstürzte, überkam mich doch ein starkes Gefühl der Hilflosigkeit. Ich fühlte mich erstmals als Frem- der: Unbekannte Schriftzeichen, ringsum Chinesen, die allesamt Händler zu sein schienen, sich auf uns stürzten, uns ihre Waren unter die Nase hielten, uns irgendwas verkaufen wollten. Dabei drückten uns ganz andere Sorgen: Wir wuss- ten nämlich nicht so recht, wie wir zu unserer Un- terkunft kommen sollten. Zwar hatten wir einen Zettel mit der Adresse, doch war die in „Pinyin“ verfasst – der Buchstaben-Umschrift für chinesi- sche Schriftzeichen. Wir fragten die Leute. Dann zeigten wir ihnen den Zettel. Wieder und wieder, mit nachdenklicher Miene (so schien es uns jeden- falls) inspizierten sie den. Aber keiner konnte uns weiterhelfen. Nach langem Hin und Her fanden wir endlich einen Taxifahrer, der das Hostel (eine Art Jugendherber- ge) kannte und uns dorthin brachte. Nach einigen Tagen klappte es dann besser mit dem Chinesischen, ich gewöhnte mich an Sprechtempo und Akzente, die vom Mandarin-Hochchinesisch unseres Unterrichts in LU abwichen. Von Peking aus ging es für mich zum Studium nach Kunming weiter, einer Stadt mit ca. fünf Millionen Einwohnern im chinesischen Südwesten. Hier hat- te ich zunächst unzählige Formulare auszufüllen, musste dann von Büro zu Büro laufen, um diese Formulare – nach Erteilung von allerlei Auskünf- ten – mit noch mehr roten Stempeln versehen zu lassen. Im September 2009 begann das Studium. Die Klas- senzimmer der Universität wirkten kahl und leer. Jedes Zimmer war nur mit ein paar grünen Holz- bänken und Holztischen ausgestattet, die Dekorati- on war spärlich. Jeden Morgen von 8:30 – 12 Uhr hatte ich dort 3 Stunden Chinesisch, 15 Stunden die Woche. Ins- gesamt musste ich 4 Kurse belegen: Lesen, Hören, Sprechen und Grammatik. Nachmittags: neue Voka- beln lernen, alte wiederholen, was bedeutet, Schriftzei- chen immer wieder hinzuschreiben. Die Klassen bestanden aus ca. zehn Schülern aus Thailand, Vietnam und Laos. Anfangs war es mit der Verständigung nicht einfach, da mein Chinesisch noch nicht gut genug war und viele Kommilitonen kein Englisch sprachen. Dennoch: Die Klassengröße er- möglichte ein sehr intensives Lernen. In den ersten Monaten war es nicht einfach, mit Chinesen in persönlichen Kontakt zu kommen. Wir „Ausländer“ lebten separat in einem Wohnheim, getrennt von den Unterkünften der chinesischen Kommilitonen. Auch unser Unterrichtsgebäude lag separat. Und dann war da noch die Sprachbarriere, denn viele Chinesen sprechen in Kunming nur den lokalen Dialekt, welcher mit dem uns beigebrachten Hochchinesisch wenig zu tun hat. Erst nach drei Monaten etwa wurde mir das alles langsam zum Alltag. Auch die ersten chinesischen Freunde, Kommilitonen, die nicht nur darauf aus waren, ihr Englisch an mir auszuprobieren, hatte ich gefunden. Über die Zeit hinweg erzählten sie mir viel über ihr Leben sowie über ihre alltäglichen Schwierigkeiten. Gegen das, was ich da hörte, ka- men mir meine Probleme in Deutschland banal vor. Mit der stetigen Verbesserung meiner Chinesisch- Kenntnisse hatte ich dann auch auf Straßen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Park viel mehr Möglichkeiten, aus Unterhaltungen Einblicke in die lokale Gesellschaft zu bekommen. So erzählte mir zum Beispiel der Taxifahrer auf dem Weg zum Flughafen ein wenig von seinem Leben. Er kom- me aus der ländlichen Region und habe gar keine gültige Aufenthaltsgenehmigung für die Stadt, denn in der VR China gibt es keine Niederlassungsfrei- heit, der Ausweis bestimmt, wo man zu wohnen hat. Dies stelle ihn täglich vor große Probleme, klagte er. Anfangs habe sein Chef das ausgenutzt und ihm am Monatsende oft kein Gehalt ausgezahlt. Was mich persönlich sehr berührte, war der Um- stand, dass er zwei Jahre von seinem monatlichen Einkommen, umgerechnet vielleicht 150 Euro, Geld gespart hatte, um für seinen Sohn einen Platz an der Grundschule zu bekommen. Als „illegaler Einwanderer“ im eigenen Land brauchte er da- für allerdings „Beziehungen“ zu Leuten, die das