Direkt zum Inhalt springen

Dimension: Akademische & Soziale Integration

Imke Buß; Jutta Rump; Janina Kaiser; Melanie Schiedhelm; Petra Schorat-Waly

Lernverhalten und Studienerfolg werden von multiplen Faktoren beeinflusst. So spielen psychologische Konstrukte wie Intelligenz, Motivation, Stressbewältigungsstrategien etc. eine erhebliche Rolle. Für den Lern- und Studienerfolg sind aber nicht nur personale, sondern auch situative Faktoren von Bedeutung. Empirische Befunde sprechen dafür, dass die erlebte Unterstützung und Ermutigung durch das soziale Umfeld den Erfolg im Studium mitbestimmen (Remdisch 2012). In der Studienabbruchsforschung ist die Idee der akademischen und sozialen Integration als Einflussgrößen nach Tinto (1975; 1993) prominent. Dabei sind die Interaktionsanlässe mit Lehrenden und Kommilitonen Teil der intellektuellen Entwicklung der Studierenden. Erhalten Studierende wenig fachliches Feedback und sind gering in soziale Netzwerke eingebunden, so erhöht sich laut Tinto die Wahrscheinlichkeit des Studienabbruches. Dies bestätigen auch empirische Studien aus dem deutschen Raum (Jonkmann 2005; Pohlenz und Tinsner 2004).

Im Sinne der akademischen Integration sind die wichtigsten Akteure die Lehrenden, die die akademische Leistung durch Feedback, Anregungen und Unterstützung fördern. Für die Einbindung in die Studierendengruppe ist die soziale Integration wichtig. Sofern sich die Studierenden als Teil einer Gemeinschaft betrachten und von ihr persönlich und im Lernprozess sowie durch Informationsaustausch unterstützt werden, reduziert sich die Wahrscheinlichkeit des Studienabbruchs. Durch Lehrende initiierte Lern- und Arbeitsanlässe in Studierendengruppen können die Integration verstärken.

Dieses Modell beeinflusste die US-amerikanische Studienabbruchforschung maßgeblich und bildet bis heute über die USA hinaus die Grundlage für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Studienabbruches. Auch im deutschsprachigen Raum wurde das Modell kritisch adaptiert und weiterentwickelt (Hartwig 1986; Winteler 1984; McCubbin 2003). Die deutsche Studienabbruchforschung zeigt, dass neben der Integration auch weitere individuelle oder institutionelle Aspekte eine Rolle spielen. Institutionelle Aspekte sind beispielsweise Beratungs- und Lehrqualität (Heublein et al. 2010). Wielepp (2013) zeigt schließlich einige weitere Aspekte auf, die die Integration in das Studium beeinflussen und durch die Hochschule unterstützt werden können:

  1. Wenden Studierende sich dem sozialen und akademischen Netzwerk der Hochschule zu?
  2. Bauen sie eine Fachidentität auf?
  3. Haben sie Kenntnisse von Unterstützungs- und Beratungsangeboten?
  4. Arbeiten sie in Lerngruppen mit?

Integration von unterschiedlichen Studierendengruppen
An der Hochschule finden sich Studierendengruppen, die aufgrund einer durchschnittlich schlechteren sozialen und akademischen Integration besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. So zeigt sich bei Studierenden mit Beeinträchtigung, dass sich diese schlechter sozial integriert fühlen und eine längere Studiendauer aufweisen (unveröffentlichte Ergebnisse, Umfrage Offenes Studienmodell Ludwigshafen). Ähnliches gilt für ausländische Studierende, wobei deren akademische Integration durch unzureichende Kenntnisse des deutschen Hochschulsystems erschwert wird (Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge, BAMF 2011). Deren soziale Integration ist durch Kultur- und Sprachbarrieren erschwert, was sich in Gruppenbildung und Ausgrenzung bei Lerngruppen zeigen kann. Wielepp (2013, S. 382) weist in diesem Zusammenhang auf die Relevanz studentischer Netzwerke hin:

„Für ausländische Studierende und Studierende aus nichtakademischem Elternhaus ist die soziale Integration an der Hochschule für Studienzufriedenheit und -erfolg entscheidend. Studierende dieser Gruppierungen bleiben häufiger unter sich und haben demzufolge keinen Zugang zu wichtigen (informellen) studentischen Netzwerken.“

Schließlich können Berufstätige und Personen mit Betreuungspflichten aufgrund von zeitlichen Restriktionen Lehrveranstaltungen, Sprechstunden oder soziale Aktivitäten nicht mit der gleichen Flexibilität wahrnehmen, wie Studierende ohne solche Pflichten. Lehrende können die soziale Integration durch Formate und Methoden unterstützen, die innerhalb und außerhalb der Lehrveranstaltung die Zusammenarbeit von Studierenden fordern. Die akademische Integration kann durch Fachgespräche und persönliches Feedback unterstützt werden.

 

Literatur
Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge, BAMF (2011): Hochschulen als Orte der Integration. Online verfügbar unter www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/
DE/Publikationen/Broschueren/broschuere-hochschule-orte-integration.pdf?__blob
=publicationFile, zuletzt geprüft am 20.01.2016.

Hartwig, J. (1986): Dropout im Universitätsstudium. Untersuchung der Zugangsweisen bei der Analyse des Studienabbruchs und Entwicklung wie Überprüfung eines kausal-analytischen Modells. Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag.

Heublein, U.; Hutzsch, C.; Schreibner, J.; Sommer, D.; Besuch, G. (2010): Ursachen des Studienabbruchs in Bachelor- und in herkömmlichen Studiengängen. Ergebnisse einer bundesweiten Befragung von Exmatrikulierten des Studienjahres 2007/08. 2. Aufl. Hannover: HIS Hochschul-Informations-System GmbH. Online verfügbar unter www.dzhw.eu/pdf/pub_fh/fh-201002.pdf, zuletzt geprüft am 26.04.2016.

Jonkmann, K. (2005): Studienabbruch, Studiendauer und Studienerleben. Analyse der Studierendenumfrage des Instituts für Informatik der Humboldt-Universität zu Berlin. Berlin. Online verfügbar unter www.informatik.hu-berlin.de/de/forschung/gebiete/wbi/teaching/fragebogen/Bericht_Informatik_final.pdf, zuletzt geprüft am 17.06.2020.

McCubbin, I. (2003): An Examination of Criticisms made of Tinto's 1975 Student Integration Model of Attrition. Online verfügbar unter www.psy.gla.ac.uk/~steve/localed/icubb.pdf.

Pohlenz, P.; Tinsner, K. (2004): Bestimmungsgrößen des Studienabbruchs. Eine empirische Untersuchung zu Ursachen und Verantwortlichkeiten. Potsdam: Universitätsverlag Potsdam.

Remdisch, S. (2012): Das Runde muss ins Eckige – Strategien für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. In: Tomaschek, N.& Hammer, E. (Hg.): University meets Industry. Perspektiven des gelebten Wissenstransfers offener Universitäten. Münster, New York, München, Berlin: Waxmann.

Tinto, V. (1975): Dropout from Higher Education: A Theoretical Synthesis of Recent Re-search. In: Review of Educational Research (45 (1)), S. 89–125.

Tinto, V. (1993): Leaving College. Rethinking the causes and cures of student attrition. 2. Aufl. Chicago: University of Chicago Press.

Wielepp, F. (2013): Heterogenität. Herausforderung der Hochschulbildung im demografischen Wandel. In: P. Pasternack (Hg.): Jenseits der Metropolen. Hochschulen in demografisch herausgeforderten Regionen. Leipzig: Akademische Verlagsanstalt, S. 363–387.

Winteler, A. (1984): Bedingungen der Studienabbruch-Intention. Pfadanalytische Validierung eines konzeptionellen Schemas zum Studienabbruch. In: Hochschulausbildung (2 (4)), S. 193–214.

Zitation
Buß, Imke; Rump, Jutta; Kaiser, Janina; Schiedhelm, Melanie; Schorat-Waly, Petra (2017): Dimension: Akademische und Soziale Integration. In: Rump, Jutta; Buß, Imke; Kaiser, Janina; Schiedhelm, Melanie; Schorat-Waly, Petra: Toolbox für gute Lehre in einer diversen Studierendenschaft. Arbeitspapiere der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, Nr. 6. www.hwg-lu.de/arbeitspapiere

Nutzung nach Creative Commons unter Namensnennung (bitte angegebene Zitation verwenden) und für nicht-kommerzielle Zwecke.

 

zurück zur Übersicht 'Lernrelevante Diversität'