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Spektrum 1-13

31 Das Kazan-Team der HS LU (v.r.): Hans-Ulrich Dallmann, Vizepräsi- dent, Wolfgang Krieger, FB IV, Michael Dillmann, Leiter des Praktikan- tenamts. Ganz links der lokale Reiseführer des Teams. International Vergleich war für beide Seiten anregend. Soziale Arbeit in Russland In einem Land, in dem fast ein Viertel der Bevölke- rung unter der Armutsgrenze leben, 1,5 Millionen Kinder als Sozialwaise gelten, fast ein Drittel der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen das vierte Lebensjahrzehnt nicht erreicht, jeder Dritte an den direkten oder indirekten Folgen langfristigen Drogenmissbrauchs verstirbt, die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer unter 60 Jahren liegt und jeder vierte Wohnungslose mit TBC infiziert ist, müssten soziale Probleme so gravierend erschei- nen, dass der Staat Soziale Arbeit mit allen Mitteln ins Leben rufen, fördern und unterstützen müsste. Dennoch: Staatliche Soziale Arbeit auf der föde- ralen Ebene hat in Russland nur wenig innovative Bedeutung; zu Zeiten der Sowjetunion existierte sie überhaupt nicht, und auf politischer Seite ihre Not- wendigkeit zu erkennen, braucht es – auch wenn die russische Föderation sich als Sozialstaat ausweist – erst einmal ein differenziertes wohlfahrtsstaatliches Bewusstsein, welches auch in der regionalen Politik erst im Entstehen ist. Daher kann es nicht verwun- dern, dass im Verein mit kommunalen und regio- nalen Organisationen freie Wohlfahrtsorganisatio- nen, Stiftungen, Initiativen und Selbsthilfegruppen das eigentliche innovative Rückgrat der praktischen Sozialen Arbeit bilden, den Dialog mit der Politik suchen und für die russischen Hochschulen die ei- gentlichen Partner in der akademischen Ausbildung darstellen. Sie entwickeln ihre eigenen Projekte, ini- tiieren Forschungsvorhaben und bringen sich in die Hochschullehre ein. Nicht alle Arbeitsfelder, die sich in Deutschland inzwischen der Sozialen Arbeit erschlossen haben, sind auch in Russland Felder der Sozialen Arbeit. Das Bewusstsein der Notwendigkeit von Sozialer Arbeit konzentriert sich noch weitgehend auf die Bereiche, die entweder schon in den sozialistischen Zeiten besondere Zuwendungen erfahren haben, oder die als staatlich verantwortete „Zukunftsinves- tition“ verstanden werden: die Arbeit mit kranken, vernachlässigten oder verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen, mit Waisen- und mit Straßen- kindern, die Arbeit mit körperlich, sensorisch und geistig Behinderten, mit Kriegsgeschädigten, Unfall- opfern oder unversorgten kranken Menschen. Aber es gibt auch neue Bewegungen, die sich den gesell- schaftlich Ausgeschlossenen oder Deprivilegierten zuwenden, deren Probleme als „selbstverschuldet“ galten und für die eine soziale Verantwortung bisher nicht wahrgenommen worden war, zum Beispiel So- ziale Arbeit mit Suchtkranken, psychisch Kranken, Obdachlosen, HIV-Infizierten, alten Menschen und neuerdings auch mit Strafgefangenen. Dass das soziale und kulturelle Integrationsvermö- gen einer Gesellschaft letztlich auch entscheidend dafür ist, welche (Rand-)gruppen als Zielklientel für Soziale Arbeit überhaupt in den Blick genommen werden, zeigt zum Beispiel die Tatsache, dass Sozia- le Arbeit als Migrationsarbeit in russischen Städten nur dort ein Thema ist, wo offensichtliche Konflikte oder Benachteiligungen festzustellen sind. Und das ist im russischen Vielvölkerstaat eher selten. An- dererseits gibt es dank des kapitalistischen System- wandels und der nachfolgenden individualistischen Wettkampfmentalität, wie in anderen östlichen Staa- ten auch, neue Desintegrationsdynamiken, die fami- liären Zusammenhalt und traditionelle gesellschaftli- che Bindungen sprengen und die schließlich Soziale

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