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Steckbrief: Studierende mit Familienpflichten

Jutta Rump; Imke Buß; Janina Kaiser; Melanie Schiedhelm; Petra Schorat-Waly

Definition und Ausgangslage
Studierende leben jeweils in unterschiedlichen Situationen und sind in unterschiedlicher Weise in Familienstrukturen eingebunden. Dies kann die Beanspruchung durch Hilfeleistungen im Haushalt, die Versorgung von jüngeren Geschwistern oder die Einbindung in die Pflege von Angehörigen sein, aber auch die eigene Familiengründung und Kinderbetreuung betreffen. Die Lebenssituation von Studierenden mit Familienpflichten wirkt sich unmittelbar auf das Studium aus, sei es durch zeitliche Restriktionen oder durch eingeschränkte Mobilität/Flexibilität in Bezug auf Studienort, Praktika, Auslandsaufenthalte etc. (Berthold und Leichsenring 2012).

In der Literatur beschränkt sich das Thema Studieren mit Familienpflichten häufig auf zwei Felder: Studieren mit Kind(ern) und Studieren mit Pflegeverantwortung (ebd.). Die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (Middendorff et al. 2013) gibt an, dass 5 % der Studierenden in Deutschland ein Kind bzw. mehrere Kinder haben. Davon sind 50 % verheiratet, 32 % leben in fester Partnerschaft, 18 % leben ohne festen Partner. Studierende mit Kind(ern) im Erststudium sind durchschnittlich 31 Jahre alt und damit 7,6 Jahre älter als ihre kinderlosen Kommiliton/innen. Neben Familienstand und Elternschaft werden in der Sozialerhebung keine gesonderten Daten zu Studierenden erhoben, die Angehörige pflegen.

Der CHE-Diversity Report (Berthold und Leichsenring 2012) geht davon aus, dass die Anzahl der pflegenden Studierenden noch stark unterschätzt wird. Im Mittel sind die pflegenden Studierenden mit 25,8 Jahren älter als ihre nichtpflegenden Kommiliton/innen (23,6 Jahre) und studieren in höheren Fachsemestern. Sie kommen außerdem signifikant häufiger aus Nicht-Akademiker-Familien und haben öfter als die nicht pflegenden Studierenden einen Migrationshintergrund. Durchschnittlich haben mehr Studierende mit Pflegeverantwortung bzw. -engagement eine vorherige Berufsausbildung oder ein Studium abgeschlossen. Außerdem tragen Studierende dieser Gruppe deutlich häufiger zusätzliche Verantwortung für ein Kind (9,0% gegenüber 4,9%) und sind somit in doppelter Hinsicht in familiäre Verpflichtungen eingebunden.

Im Studienbarometer der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen (Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen 2015b) gaben 5,3% der befragten Studierenden an, Kinder im betreuungspflichtigen Alter zu haben, wovon fast alle mit ihrem Kind/ihren Kindern zusammen in einem Haushalt wohnen. 60% der Studierenden mit Kind sind weiblich und 40% männlich. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten mit Kind(ern) stammt aus dem Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen und ein Viertel aus dem Fachbereich Marketing und Personalmanagement, während jeweils 12% aus dem Fachbereich Management, Controlling und Health Care oder dem Fachbereich Dienstleistungen und Consulting stammen.

Auswirkungen auf Studiensituation und Studienerfolg
Studienerfolg und Studienabbruch
Die Datenlage in Bezug auf Elternschaft zeigt: Aufgrund der zeitlichen Belastung studieren Eltern zwar in offiziellen Vollzeitstudiengängen, können dies aber de facto nur in Teilzeit tun. Außerdem sind für diese Studierendengruppe Studiengänge besonders interessant, die formal in Teilzeit oder berufsbegleitend studierbar sind (Middendorff et al. 2013). Circa ein Drittel der Studierenden mit Kind(ern) unterbrechen ihr Studium. Häufigster Anlass dafür sind Schwangerschaft oder Kindererziehung. Bei den Vätern spielen zudem finanzielle Probleme und Erwerbstätigkeit eine größere Rolle (ebd.). Weitere Gründe von Studienunterbrechungen sind Zeitmangel, Schwierigkeiten bei der Organisation von Studium und Kinderbetreuung, Unverständnis für die Situation von Kommiliton/innen und Dozierenden, die Bewältigung von Studienanforderungen und Kindererziehung (Schrull 2005).

Vereinbarkeit von Familie und Studium
Die größte Herausforderung für Studierende mit Kind(ern) und/oder mit Pflegeverantwortung ist die Vereinbarkeit von Familie und Studium (ebd.). Dies beinhaltet zusammenfassend das Management knapper Zeitressourcen und eine starke zeitliche und physische sowie psychische Last durch die Mehrfachbelastung. Weiter gibt es Probleme sich zu Hause einen Platz zum Arbeiten oder Raum zum Schreiben zu schaffen (Müller et al. 2015).

Psychische und körperliche Einschränkungen
Der CHE-Diversity Report zeigt, dass sich Studierende mit Kindern geringfügig weniger sicher sind, dass es ihnen gelingen wird, das Studium erfolgreich abzuschließen. Zudem leiden sie im Studium überdurchschnittlich häufig an psychischen bzw. körperlichen Einschränkungen (Berthold und Leichsenring 2012). Vor allem die Belastung der alleinerziehenden Studierenden ist offensichtlich größer als die der Studierenden mit Partner(in), was sich in der physischen und psychischen Konstitution niederschlägt.

Soziale Integration
Familiäre Verpflichtungen wirken sich auf die soziale Integration der Studierenden aus. Studierende Eltern geben im Vergleich zu den übrigen Studierenden an, über deutlich weniger soziale Kontakte an der Hochschule zu verfügen. Der Zeitaspekt und die außerordentliche Lebenssituation, in der sich auch Studierende mit Pflegeverantwortung befinden, hemmen die soziale Integration in und die Identifikation mit der Hochschule (ebd.).

Finanzierung
Die Studieneingangsbefragung der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen zeigt, dass sich die Studierendengruppe mit Familienpflichten im Vergleich zu den übrigen Studierenden generell mehr Sorgen um ihre finanzielle Situation macht. 33% der Studierende geben zudem an, dass sie sich Sorgen um die Kinderbetreuung machen und Bedarf an einem Betreuungsplatz haben (Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen 2015a). Des Weiteren gaben im Studierendenbarometer (Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen 2015b) 2,1% der Befragten oder in Zahlen ausgedrückt 10 Personen an, pflegebedürftige Angehörige zu betreuen. Aufgrund der geringen Fallzahl konnten keine weiteren Analysen, z.B. hinsichtlich besonderer Bedarfe oder Potenziale dieser Studierendengruppe durchgeführt werden.

Potenziale der Studierenden mit Familienpflichten
Neben den Herausforderungen in Bezug auf Zeitmanagement und Mehrfachbelastung bringen Studierende mit Familienpflichten auch einige Potenziale mit in das Studium. Studierende mit Kind(ern) und/oder Pflegeverantwortung sind in der Regel älter und haben bereits mehr Lebenserfahrung. Sie wohnen größtenteils nicht mehr bei den Eltern, sind finanziell unabhängig und wollen schneller mit ihrem Studium fertig werden als Studierende ohne Kinder. Oftmals verfügen sie über gute familiäre und berufliche Strukturen, die für das Studium genutzt werden und auf deren Basis Studium, Elternschaft und Job vereinbart werden. Sie verfügen über ein Umfeld, in das das Studium eingepasst ist. Auch schlägt sich der eher bewusste Entscheidungsprozess für ein (weiteres) Studium in einer sehr gewissenhafte und sorgfältige Arbeit sowie Zielstrebigkeit nieder (Berthold und Leichsenring 2012). Trotzdem ist die Vereinbarkeit von Studium, Erwerbstätigkeit und Familie offensichtlich schwierig und bestimmte Rahmenbedingungen im Studium können es dieser Gruppe erleichtern sich für ein Studium zu entscheiden bzw. um die Anpassungssituation im Studium zu verbessern. Die Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen trägt ihren Teil zum Gelingen der Vereinbarkeit von Familienpflichten und Studium bei. Sie ist seit 2002 – als erste Hochschule bundesweit – als familiengerechte Hochschule auditiert und sieht eine familienbewusste Ausrichtung im Umgang mit den Beschäftigten und Studierenden als festen Bestandteil ihrer Organisation.

Literatur
Berthold, C.; Leichsenring, H. (Hg.) (2012): CHE: Diversity Report: Der Gesamtbericht. Online verfügbar unter www.che-consult.de/fileadmin/pdf/publikationen/CHE_Diversity_Report_Gesamtbericht_komprimiert.pdf, zuletzt geprüft am 25.04.2016.

Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen (2015a): Studiengangsbefragung. Internes Dokument. Ludwigshafen am Rhein.

Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen (2015b): Studierendenbarometer. Hochschulweite Studierendenbefragung. Wintersemester 2014/2015. Unveröffentlichtes Dokument. Unter Mitarbeit von Keller, A. Evaluationsbeauftragte der Hochschule. Ludwigshafen am Rhein.

Middendorff, E.; Apolinarski, B.; Poskowsky, J.; Kandulla, M.; Netz, N. (2013): Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2012: 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks durchgeführt durch das HIS-Institut für Hochschulforschung. Online verfügbar unter www.sozialerhebung.de/download/20/soz20_hauptbericht_gesamt.pdf, zuletzt geprüft am 25.04.2016.

Müller, M.; Husemann, B.; Buß, I. (2015): Studienbezogene Charakteristika und Bedarfe von Studierenden mit Kind und berufstätigen Studierenden. Erste Ergebnisse aus dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Studium? Divers! Offenes Studienmodell Ludwigshafen“.

Schrull, B. (2005): Work-Life-Balance an der Universität Potsdam: Vereinbarkeit von Studium - Beruf - wissenschaftlicher Karriere und Familie.

Zitation
Rump, Jutta; Buß, Imke; Kaiser, Janina; Schiedhelm, Melanie; Schorat-Waly, Petra (2017): Steckbrief: Studierende mit Familienpflichten. In: Rump, Jutta; Buß, Imke; Kaiser, Janina; Schiedhelm, Melanie; Schorat-Waly, Petra: Toolbox für gute Lehre in einer diversen Studierendenschaft. Arbeitspapiere der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, Nr. 6. www.hwg-lu.de/arbeitspapiere

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