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Dimension: Lernstrategien

Petra Schorat-Waly

Für das Forschungsgebiet rund um Lernprozesse ist es charakteristisch, dass die Vielzahl von Fachausdrücken und Konzepten, wie Lernstil, Lernstrategie, Lernertyp oder kognitiver Stil je nach Autor/in unterschiedlich verwendet werden. Die terminologische Unschärfe des Gebiets drückt sich des Weiteren dadurch aus, dass viele Autoren die von Ihnen verwendeten Fachtermini zwar zu Beginn ihrer Arbeiten genau erläutern, diese im weiteren Verlauf jedoch nicht präzise verwenden. Creß (2006, S. 365) schlägt vor, die theoretischen Konzeptionen zur besseren Abgrenzung auf einem Kontinuum anzuordnen: Dabei stellen die in der konkreten Lernsituation beobachtbaren Verhaltensweisen den einen Pol dar. Den anderen Pol beschreiben relativ stabile kognitive oder affektive Verhaltensweisen, die Personen lernsituationsübergreifend aufweisen.

Da die Konzepte der kognitiven Stile und der Lernstile[1] beide relative stabile, in der Persönlichkeit begründete Verhaltensweisen beschreiben, sind diese dem situationsübergreifenden Pol zuzuordnen. Sie werden hauptsächlich im Kontext der Anpassung der Lehre an die Lernumwelt, d.h. an die „Stärken“ des „Lerntyps“ diskutiert. Wie Lehrende und Studierende intentional das Lernen beeinflussen bzw. steuern können, ist in diesem Zusammenhang nahezu bedeutungslos (Wild 2000, S. 8).[2] Hinzu kommt, dass die Studierendenschaft keine homogene Gruppe ist, und eine einseitige Ausrichtung der Lehre auf einen „Lerntyp“ deshalb kaum sinnvoll erscheint. Lernstrategien bilden den situationsnahen, diametralen Pol ab, und sind deshalb im Kontext von Lehr-Lern-Prozessen im Studium das interessantere Konzept. Lernstrategien werden von Autoren nicht nur unterschiedlich definiert, sondern auch klassifiziert. Streblow und Schiefele (2006, S. 353) konstatieren, dass diese üblicherweise vier Merkmale aufweisen. Unter Lernstrategien versteht man demnach eine „Abfolge von effizienten Lerntechniken“ welche „zielführend und flexibel eingesetzt werden“. Obwohl sie zumeist „automatisiert ablaufen“, bleiben sie trotzdem „bewusstseinsfähig“. Unter Lerntechniken versteht man die innerhalb der Lernstrategie genutzten Methoden (z.B. das Zeichnen von Skizzen, Unterstreichen von Texten, etc.).

Das Forschungsfeld über Lernstrategien lässt sich grob in zwei dominierende Richtungen einteilen: Es gibt die „Approaches-to-learning“-Ansätze und die kognitionspsychologisch begründeten Lernstrategiekonzeptionen (Wild 2000, S. 10).

„Approach-to-learning“-Ansätze
Das charakteristisch für die „Approach-to-learning“- Ansätze ist, dass in einer bestimmten Lernsituation neben den Lernstrategien auch die Lernmotivation und –intention eines Lerners betrachtet werden. Empirisch gut belegt sind die ursprünglich nach Marton und Säljö (1976) identifizierten und durch andere Forscher wie Biggs (1987) oder Entwistle und Ramsden (1983) validierten und inhaltlich erweiterten Lernorientierungen: deep approach und surface approach. Die von Biggs und Entwistle zusätzlich postulierten Motiv-Lernstrategie-Kombinationen, werden durch neuere Forschungsergebnisse nicht mehr gestützt (Wild 2000, S. 28).

Der deep approach ist mit intrinischer Motivation und Strategien des gründlichen Verstehens von Fakten, Regeln und Zusammenhängen verbunden. Lernende dieser Gruppe sind daran interessiert, neue Informationen aktiv in bestehende Strukturen von Wissen und Einstellungen zu integrieren. Eher an der Reproduktion von Wissen orientiert ist der surface approach. Diese Lerner sind charakteristischerweise sehr vom Lernplan abhängig. Hauptmotivationsfaktor ist die Angst vor dem Versagen. Die Wissensaneignung dieser Lernenden erfolgt vor allem durch Techniken des Auswendiglernens. Es gibt verschiedene Studien die untersucht haben, welche Herangehensweise bessere Lernerfolge erzielt (Martin und Nicolaisen 2015, S. 14). Die Befundlage ist sehr unterschiedlich. Einige Studien konnten bei komplexen Aufgabenstellungen mit längerer Bearbeitungszeit Vorteile für die Gruppe der Tiefenverarbeiter belegen. Der surface approach schneidet besser ab, wenn eng umrissenes Faktenwissen abgefragt wurde.

Kognitionspsychologische Ansätze
Der Forschungsschwerpunkt der kognitionspsychologisch orientierten Lernstrategieforscher liegt auf der Analyse des kognitiven Informationsverarbeitungsprozesses. Sie untersuchen, welche Verhaltensweisen diesen Lernprozess unterstützen können. So entwickelten sie fragebogengestützt ein Kategoriensystem von Lernstrategien, denen sie Unterkategorien und lernförderliche Lerntechniken zuordneten. Im deutschsprachigen Raum wurde vor allem der von Wild und Schiefele in den 90er Jahren entwickelte Fragebogen LIST (Lernen im Studium) genutzt und weiterentwickelt. Schiefele und Wild verzichteten darauf Motivationsstrategien zu erheben, da diese in die anderen Strategie-Kategorien hineinspielen und sie somit eine methodisch saubere Erhebung als schwierig ansahen (Martin und Nicolaisen 2015, S. 16 ff.).

Die Emotionale Wende in der Lernstrategieforschung
Dies ändert sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit der sogenannten emotionalen, motivationalen Wende in der Lernforschung, im Laufe derer der Stellenwert von Emotion in der Kognition neu bewertet wurde. Es wurde erkannt, dass sie sich maßgeblich auf unser rationales Denken auswirken und maßgeblich die Gedächtnisleistung beeinflussen. Deshalb nimmt Martin in dem von ihm entworfenen LSN-Fragebogen Motivationsstrategien explizit auf, auch wenn dieser sonst dem LIST Fragebogen inhaltlich sehr nahe steht (Martin und Nicolaisen 2015, S. 17). Folgende Tabelle soll einen Überblick über das von ihm entwickelte Kategoriensystem geben und beispielsweise einige Lerntechniken aufzeigen.

Lernstrategien

Lerntechniken

A Kognitive Lernstrategien (Ziel: Informationen besser aufnehmen, speichern, wiedergeben)

A.1 Organisation und Strukturierung des Stoffs verbessern

Textstellen markieren/Zusammenfassungen schreiben/ Mindmaps erstellen

A.2 Zusammenhänge herstellen

Zusammenhang zu eigenem Vorwissen herstellen/Bezug zu anderen Fächern schaffen

A.3 Kritisches Hinterfragen von Informationen

Sich überlegen, ob das, was man lernt oder hört, logisch ist/Nach alternativen Erklärungen suchen

A.4 Effizientes Wiederholen

Kürzung und Verteilung von Wiederholungssequenzen auf mehrere Tage/Eselsbrücken als Erinnerungshilfe/Loci-Methode

B. Metakognitive Lernstrategien (Ziel: Das eigene Lernen verstehen und steuern)

B.1 Lernwissen aufbauen und erweitern

Die Funktionsweise des Gehirns kennenlernen/Mit Lernexperten oder fortgeschrittenen Lernenden über das Lernen sprechen

B.2 Lernwissen über sich selbst aufbauen

Beim Lernen bewusst darauf achten, regelmäßig aus der Vogelperspektive auf sich selbst zu schauen/Lerntagebücher führen

B. 3 Lernen planen, überwachen und auswerten

Festlegung von Tageszielen/Offene Fragen und Probleme festhalten

C. Ressourcenorientierte Strategien (Ziel: Die Rahmenbedingungen für das Lernen verbessern)

C.1 Innere Rahmenbedingungen des Lernens verbessern

C.1.1 Positive Einstellung zu Stoff und Anstrengung entwickeln

Sich regelmäßig vor Augen halten, dass Durchhänger zu jedem größeren Projekt gehören/ Bereitschaft aufbauen wenn nötig mehr für den Erfolg zu arbeiten

C.1.2 Energiehaushalt optimieren

Soviel schlafen, dass man am nächsten Tag ausgeruht ist/ Regelmäßige Bewegungspausen machen

C.1.3 Zeitmanagement

Realistischen Wochenplan erstellen

C.1.4 Antizipation von Schwierigkeiten

Mentales Durchspielen von potentiell schwierigen Situationen/Aufbau förderlicher Imaginationen

C.2 Äußere Rahmenbedingungen verbessern

C.2.1 Lernumgebung optimieren

Ergonomische Einrichtung des Arbeitsplatzes/ Abschalten von Smartphones

C.2.2 Lernen mit anderen Personen

Sachverhalt einem kritischen Zuhörer erklären/Vergleich von Zusammenfassungen

C.2.3 Weitere Informationen suchen

Fehlende Informationen mithilfe von Datenbanken und Suchmaschinen ermitteln/Experten fragen

D. Motivationsstrategien (Ziel: Gefühle und Stimmungen beim Lernen steuern)

D.1 Interne Motivationsstrategien

D.1.1(Selbst-) Belohnungsstrategien

Selbstbelohnung nach Tageszielen

D.1.2 An den Gewinn denken (extrinsische Motivationsstrategien)

An die zukünftigen Möglichkeiten denken, die ein Lernerfolg eröffnet/Versuchen, besser zu sein als Andere

D.1.3 Erleben, dass man etwas kann (Stärkung der Selbstwirksamkeit)

Fokus auf schon Erreichtes richten/Peers wählen, die den eigenen Selbstwert stärken

D.1.4 Positiver Umgang mit Erfolg und Misserfolg (selbstwertschützende Attribution)

Erfolge der eigenen Fähigkeit zuschreiben/Misserfolg als einmaliges Ereignis anschauen, das man in Zukunft korrigieren kann

D.1.5 Motivationskrisen überwinden

Erfahrungswissen aktivieren/Bewusst machen, dass Hochs und Tiefs zu jedem größeren Lernprojekt gehören

D.2 Situationsbezogene Motivationsstrategien

D.2.1 Motivation in der Aufgabe selbst suchen (intrinsische Motivation stärken)

Wahl der Aufgabe nach Interesse statt nach erwarteter Bearbeitungszeit/Wahl von Aufgaben mit mittelhohem Schwierigkeitsgrad

D.2.2 Freiheiten bei Tempo und Planung suchen

Lehrpersonen um gelegentliches Mitspracherecht bei der Themenwahl bitten/Konkrete Themen- oder Projektvorschläge einbringen

Tabelle 1: Übersicht über die Lernstrategien nach Martin
Quelle: Martin und Nicolaisen (2015, S. 23 ff.)

Die wichtigsten Erkenntnisse der Lernstrategieforschung lassen sich in wenigen Kernaussagen zusammenfassen: Lernstrategien sind wichtige Determinanten von Studienleistung. Deshalb ist es ohne Zweifel sinnvoll, den Strategieeinsatz bei Studierenden zu fördern (Streblow und Schiefele 2006, S. 360). Die besten Lernerfolge haben Lernende, die an sich glauben und über ein breites Repertoire an Lernstrategien verfügen, welches sie situations- und aufgabenadäquat einsetzen können. Der Gebrauch von Lernstrategien kann durch Lehrende und Lernberatende leicht und stark beeinflusst werden (Martin und Nicolaisen 2015, S. 49). 

Literatur
Biggs, J. B. (1987): Student approaches to learning and studying. Melbourne.

Creß, U. (2006): Lernorientierung, Lernstile, Lerntypen und kognitive Stile. In: H. Mandl und H. F. Friedrich (Hg.): Handbuch Lernstrategien. Göttingen, 365-277.

Entwistle, N. J.; Ramsden, P. (1983): Understanding student learning. London: Croom-Helm.

Martin, P.-Y.; Nicolaisen, T. (2015): Einführung und Grundlagen. In: P.-Y Martin und T. Nicolaisen (Hg.): Lernstrategien fördern. Weinheim: Beltz Juventa, S. 9–69.

Marton, F.; Säljö, R. (1976): On qualitative differences in learning – Outcome and process. In: British Journal of Educational Psychology (64), 4-11; 115-127.

Streblow, L.; Schiefele, U. (2006): Lernstrategien im Studium. In: H. Mandl und H. F. Friedrich (Hg.): Handbuch Lernstrategien. Göttingen: Hogrefe, S. 352–364.

Wild, K.-P. (2000): Lernstrategien im Studium. Münster: Waxmann Verlag.

Zitation
Schorat-Waly, Petra (2017): Dimension: Lernstrategien. In: Rump, Jutta; Buß, Imke; Kaiser, Janina; Schiedhelm, Melanie; Schorat-Waly, Petra: Toolbox für gute Lehre in einer diversen Studierendenschaft. Arbeitspapiere der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen, Nr. 6. www.hwg-lu.de/arbeitspapiere

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[1] Nach wie vor sehr populär ist die Theorie von Vester (1998). Er unterscheidet - nach ihrer Präferenz für Sinneskanäle - zwischen vier Lerntypen: dem auditiven („durch Hören und Sprechen“), dem optischen („durch das Auge, durch Beobachtung“), dem haptischen („durch Anfassen und Fühlen“) und dem intellektuellen Lerntyp. Diese Theorie ist jedoch weder theoretisch fundiert noch empirisch bewiesen (Creß 2006, S. 372). Nach wie vor unbestritten ist jedoch die Aussage, dass alle Lernenden von gut strukturierten und auf mehreren Sinneskanälen angebotenen Lerninhalten profitieren (Martin und Nicolaisen 2015, S. 15).

[2] Creß ordnet nur den kognitiven Stil dem situationsnahen Pol zu und verortet den Lernstil zwischen beiden Polen.

 

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