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Spektrum 12

11 Prof. Dr. Hans-Ulrich Dall- mann Theologe Professur für Theologie und Ethik am FB IV, Sozial- und Gesundheitswesen 0621/5203-553 hans.dallmann@hs-lu.de Pflege zu befürchten, die den eigenen Berufsstan- dards (meist auch dem der ausländischen Pfle- gekräfte) nicht entspricht. Chancen liegen in der Nutzung der sprachlichen und kulturellen Kom- petenzen der nichtdeutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Allerdings muss einschränkend gesagt werden, dass der Status, Migrantin oder Migrant zu sein, allein keine hinreichende Bedin- gung für interkulturelle Kompetenz ist. Seit einigen Jahren im Fokus sind Pflegekräfte ins- besondere aus Osteuropa, die für die 24-Stunden- Versorgung Pflegebedürftiger eingesetzt werden. Es wird geschätzt, dass neben circa 50.000 legalen Arbeitsverhältnissen weitere 100.000 Personen irregulär beschäftigt werden (die Caritas schätzt die Zahl sogar bis zu 250.000). Agenturen, die entsprechende Personen vermitteln, sind in den letzten Jahren in großer Zahl entstanden; viele werben damit, dass mit der Beschäftigung dieser Kräfte die häusliche Versorgung kostengünstig gesichert werden kann. Erfahrungen zeigen, dass diese Personen deutlich unter dem Tarif ent- lohnt werden, dass Arbeitszeitregelungen nicht eingehalten werden, und dass sie unter sozialer Isolation leiden. In Deutschland leben immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund, manche erst seit kurzer Zeit, manche seit mehreren Generationen. Und wie alle Menschen werden auch diese krank und gegebenenfalls pflegebedürftig. Doch erst seit den 1980er Jahren wird wahrgenommen, dass die Pflege von Personen mit Migrationshintergrund einige Spezifika aufweist. Zunächst wurden diese kulturalistisch wahrgenommen und gedeutet, man sprach vom „Mamma-Mia-Syndrom“ (expressive Schmerzäußerung) und vom „Morbus Bosporus“ (Erkrankungen mit unklarer Symptomatik). Die Aufmerksamkeit galt der vermeintlichen oder tatsächlichen „kulturellen Differenz“, mit dieser wollte oder sollte man lernen umzugehen. Der kultu- ralistische Blick übersah jedoch, dass die als Problem wahrgenommenen Anforderungen weniger mit Kul- tur, als vielmehr mit der sozialen und ökonomischen Situation der Betroffenen zu tun hatte. Und bisweilen führte die gut gemeinte Berücksichtigung „kultureller Differenzen“ zu einer Art multikulturellem Überei- fer, der Angehörige eines bestimmten Staates über einen entsprechenden kulturellen Leisten schlug. So selbstverständlich es ist, dass es kulturelle und landestypische Besonderheiten etwa im Umgang mit Tod und Sterben gibt, darf trotzdem nicht über- sehen werden, dass Unterschiede auch innerhalb eines Landes bestehen. Eine traditionelle Be- erdigung mit Totenwache, verhängtem Spiegel, Aufbahrung, Aussegnung, Trauerzug, Totenmes- se und Leichenschmaus dürfte vielen mittlerweile mindestens so exotisch erscheinen wie Trauerriten anderer Kulturen. So offensichtlich es ist, dass kulturelle Faktoren Einfluss auf die Lebensführung von Individuen haben (und sei es nur auf die Ernährungsgewohn- heiten), so vorsichtig sollte man sein, alle Probleme, die in der Pflege von Personen mit Migrationshin- tergrund auftreten, auf kulturelle Differenzen zu- rückzuführen. Stattdessen wird gerade hier immer deutlicher, dass es um eine individuelle, „patiente- norientierte“ Pflege gehen muss, die individuelle Präferenzen, Wünsche, Prägungen und Vorstellun- gen berücksichtigt. Das Wissen um kulturelle Unterschiede kann dabei helfen, mögliche Probleme – etwa im Hin- blick auf Ernährungsregeln – zu identifizieren. Es darf aber nicht dazu führen, Individuen be- stimmte Prägungen und Vorstellungen einfach zuzuschreiben. Es gibt deutsche Katholiken, die kein Schweinefleisch essen, und türkische Musli- me, die das gleichwohl tun. Nicht nur bei Men- schen mit Migrationshintergrund, auch bei „Bio- Deutschen“ ist die Vielfalt größer, als kulturelle Einheitsvorstellungen bisweilen suggerieren. Titel

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